Interkulturelles theatralisches Jugendprojekt „½ + ½ = ∞“
Mai - August 2018

  • Dem Ereignis den Rücken kehren
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Zum heutigen Deutschland gehören Menschen aus fast 200 Ländern der Welt, die in diesem Land ihre zweite Heimat gefunden haben. Zahlreiche Kulturen, Traditionen, Sitten und Werte sowie Religionszugehörigkeiten machen die Gesellschaft vielfältig und bunt. Einerseits leben rund 17 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland. Sie machen einen erheblichen Teil der hiesigen Gesellschaft aus. Anderseits kennen Einheimische sowie Migranten selber andere Gruppen, Ethnien und Kulturen immer noch häufig nicht und treten sehr selten, wenn überhaupt, miteinander in Kontakt. Die neueste Entwicklung in der Flüchtlingsmigration nach Deutschland spiegelt sich in Großstädten und kleinen Gemeinden wider. Die Neueinwanderung hat die Diskussion, was und wer zu Deutschland gehört, wieder eröffnet und polarisiert. Dies trägt zur Entwicklung neuer Ängste und Distanzierungen gegenüber Menschen mit Migrationshintergrund, unabhängig von Ethnien und Kulturen, bei. Die Entfremdung ist in verschiedenen Formen, Einrichtungen und Institutionen sowie Lebenssphären spürbar geworden, u. a. unter Jugendlichen und an den Schulen. Die Projektidee ist durch einen Vorfall an einem Kölner Gymnasium entstanden. Einige Schüler des Gymnasiums hatten die dazugehörige Sporthalle in Brand gesetzt und damit den dort geplanten Wohnraum für Flüchtlinge unbewohnbar gemacht. Die Öffentlichkeit hat nie von dieser Tat erfahren, denn weder in der Politik, noch aus Medienkreisen wurde hierüber berichtet. Allerdings wurde diese Tat unter den Schülern sehr aktiv besprochen und diskutiert, u. a. das Thema des Fremdseins und des Zusammenlebens in Deutschland. Einige Schüler, die die Theatergruppe „Experiment“ des PHOENIX-Köln e.V. besuchen, haben über diesen Vorfall berichtet und die Idee für ein Projekt gehabt - zum Kennenlernen und zur Vorstellung von Migranten, ihrer Geschichten und ihres Alltags, um der breiten Öffentlichkeit „andere“ Menschen und Heimaten bekannter zu machen. 

Ziele des Projekts und des Vorhabens

Das Projekt „½ + ½ = ∞“ (Arbeitstitel) beschäftigt sich mit Menschen, die einen Flucht- oder Migrationshintergrund und / oder ihre Heimat verlassen haben und in Deutschland "neu" sind. Das Hauptziel des Projekts ist es, die Teilnehmenden mit ihrer neuen Lebenswelt in Deutschland bzw. in Köln vertraut zu machen und so ihre kulturellen Kompetenzen zu fördern und ihr Selbstkonzept zu stärken. Hierzu werden Jugendliche mit Fluchterfahrung, mit Migrationshintergrund und einheimische Gleichaltrige ins Projekt einbezogen. Außerdem zielt das Projekt darauf ab, sich mit den heutzutage existierenden Stereotypen und Vorurteilen gegenüber Fremden und anderen Kulturen in der Jugendszene auseinanderzusetzten sowie Ängste und Fremdfeindlichkeit in der Gesellschaft in literarischen und theatralischen Formen zu bearbeiten. Der Fokus dieses Projektes liegt auf den Themen der Gleichstellungder Geschlechter, der Genderproblemen und -fragen, welche auf den sozialen Positionen und sozialen Rollen von Männern und Frauen in der Gesellschaft beruhen, sowie der zwischenmenschlichen Interaktion und den Beziehungen in den grundlegenden sozialen Institutionen (Familie, Bildung, Wissenschaft, Religion, Politik etc.).

In dem Projekt soll durch vielfältige künstlerische und theatralische Formen die Aufmerksamkeit der Teilnehmer Innen, und später auch der Zuschauer Innen, auf ein weites Problemfeld gelenkt werden, welches sowohl in der weiblichen als auch in der männlichen Weltanschauung entsteht und in verschiedenen Alters-, sozialkulturellen und ethnischen Gruppen vorhanden ist. Die künstlerischen und theatralischen Formen sind dabei von besonderer Bedeutung, da Kunst ein spezieller Bereich der menschlichen Aktivität ist und auf der kreativen und individuellen Weltanschauung basiert.

Die Fragennach den Geschlechterkulturen und den Geschlechtsleben haben eine langanhaltende Präsenz in der Geschichte der Zivilisation und der Wissenschaft. Der Austauschdieser Kulturen dient als Gegenstand für Wissenschaftler Innen der Vergangenheit sowie der Gegenwart. Inder Kunstwurden diesen Fragen ebenfalls viel Aufmerksamkeit gewidmet; angefangen im antiken Griechenland bis zu Shakespeare und Tirso de Molina, Lope de Vega und Pedro Calderón de la Barca, und später bei John Updike, Iris Murdoch, Oscar Wilde, Dostojewski sowie vielen mehr, als auch den Fragen, die die heutige Kunst bis heute beschäftigen.

Die Logik der Tyrannei und der Unannehmbarkeit ist nicht nur in den Beziehungen zwischen den Geschlechtern zu beobachten, sondern auch in den Einstellungen zum Andersartigen als solches. Als Folge dessen haben wir eine eindimensionale Geschichteder Schönheit, oder eine einseitige Politikgeschichte in der Welt, in welchen die Vielfalt der Ethnien und Kulturen kaum erscheint. Beispielsweise ist bekannt, wie durch die Kolonisierung und das Aufzwingen von unbekannten gesellschaftlichen Systemen die Identität der Betroffenen verzerrt und durch Gewalt die eigenen autoritären Standards aufgedrängt wurden. Jedoch beinhalten die Studien von Ethnologen Beweise dafür, dass in der Vergangenheit gesellschaftliche Systeme existiert haben, die keine Gender-Dominanz aufgewiesen haben. Die unvollständigen Daten über die verlorenen Zivilisationen und Stämme, dessen Spuren in dem Kontext der heutigen Kultur schwer zu finden sind, beinhalten Beweise dafür, dass ein anderes Szenario von Beziehungen in der Gesellschaft existiert hat; eins basierend auf Gleichheit, mit Geschlechterrollen als nebensächliches Konzept.

Das Thema des Projekts soll durch die Figur der Medea, einer Frauengestalt aus der griechischen Mythologie, entfaltet werden. (Am Ende soll eine Inszenierung erfolgen). Die Sage der Medea gehört seit der Antike (beispielsweise durch die Auffassungen von Euripides, Seneca, Ovids, jedoch auch von vielen Schriftstellern der Moderne) zu den bekanntesten Stoffen der Weltliteratur. Medea ist eine Fremde. Aufgrund von Liebe verrät Medea ihr Land und ihre Familie. Die Idee des Projektes reflektiert eine Frauen- und eine Männergeschichte.

Unsere Interpretation von Medea ist im ‚Rashomon Effekt‘ (benannt nach dem Film „Rashomon – Das Lustwäldchen“ von Akira Kurosawa aus dem Jahr 1950, in welchem die Handlung aus vier gegensätzlichen Perspektiven von vier Zeugen beschrieben wird), in welchem Ereignisse aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet werden, was zu Polyphonie führt. 

Die moderne Ansichtsweise und die künstlerische Behandlung dieser klassischen Fabel ermöglichen eine neue Ansichtsweise auf die ewigen Probleme der Wechselbeziehungen zwischen den Geschlechtern in der heutigen Welt. Zu dem gibt es uns die Möglichkeit darüber nach zu denken, wie wichtig es für unser gemeinsames Wohl ist, zu lernen, die Vielfältigkeit und Individualität der Menschen in der multikulturellen und globalen Realität zu akzeptieren. Dieser Prozessbenötigt das Verständnis dafür, wie die bestehenden Beziehungsmodelle entstanden sind, wie sich die Vorstellung über das ‚Richtige‘ oder das ‚Traditionelle‘ in unserem Bewusstsein verankert hat und warum Änderungen unumgänglich sind. Dies ist ein großes Gespräch über die soziale Auffassung von Geschlechterrollen, darüber was mit den Begriffen ‚Frau‘ und ‚Mann‘ in der modernen Welt geschieht.

Das Projekt soll sich dem Thema der Völkerverständigung widmen und zeigen, dass trotz unterschiedlicher Rahmenbedingungen überall Menschen mit ähnlichen Bedürfnissen leben. Es soll zu Begegnungen zwischen Jugendlichen, Flüchtlingen und Schülern kommen. Alle Teilnehmenden können diese Begegnung mit dem Fremden als Herausforderung und als Bereicherungen gleichermaßen empfinden. In theatralischer und tänzerischer Form trifft sich die Gruppe und entwickelt gemeinsam Szenen und Texte, um das Thema des Zusammenlebens verschiedener Kulturen und andere Fragen zu Fremdenfeindlichkeit vs. Willkommenskultur in Deutschland zu beleuchten.

Durch erlebnispädagogische, literarische und theatralische Methoden werden die Teilnehmenden  unterstützt, in einer interkulturellen Gruppe zusammenzuarbeiten, sich über die Erfahrungen auszutauschen und die Ergebnisse der Arbeit in Form einer Theaterperformance darzustellen.

Das Ziel des interkulturellen Live-Happening und der Performance ist es, die aktuelle Flüchtlingsdebatte kritisch zu hinterfragen und Diskussionen auszulösen. „½ + ½ = ∞“ (Arbeitstitel) ist als interkulturelles und spartenübergreifendes Kunstprojekt angelegt, in dem deutsche Schüler mit und ohne Migrationshintergrund sowie geflüchtete Jugendliche durch künstlerisches Handeln individuelle Wege zur Integration und Verständigung gemeinsam suchen und finden.

Zielgruppe

Die Zielgruppe sind Jugendliche und junge Erwachsene im Alter von 18 bis 26 Jahren, mit und ohne Flucht- und Migrationshintergrund, aus verschiedenen Ethnien, wie russischsprachige Jugendliche, Junge Leute aus Osteuropa, Flüchtlingsjugendliche aus Syrien, Iran und Afghanistan, Sinti und Roma. Die Gruppe wird aus 10 Jugendlichen bestehen. Die Gruppe wird aus jungen Leuten verschiedener sozialer Schichten, Nationalitäten und Konfessionen gebildet. Wir möchten die Schüler aus Haupt-, Real-, Gesamtschulen und aus Gymnasien einbeziehen. Es sollen Jugendliche aus verschiedenen Stadtbezirken und von unterschiedlichem Wohlstandsniveau sein. Wir wollen in unserem Projekt Jugendliche mit Migrationshintergrund sowie deutsche Jigendliche zusammenbringen, für die ihre professionelle, soziale, bürgerliche Zukunft von Bedeutung ist.

Inhalte und Vorhaben

Die Jugendlichen verschiedener Herkunft lernen sich kennen und stellen sich der Öffentlichkeit vor. Die Ergebnisse des Projekts werden in Form einer szenischen Performance erarbeitet und anschließend dem breiten Publikum präsentiert. Die Performance wird eine einheitliche thematische Komposition darstellen, die aus vielfältigen und zahlreichen inszenierten Novellen und kurzen Solo- und Gruppen-Inszenierungen besteht. Die Performance beinhaltet in sich abgeschlossene Geschichten, die zu einer einheitlichen szenischen Komposition zusammen geführt werden.

Die Jugendliche setzen sich mit den Geschichten der konkreten Menschen und Familien, die nach Deutschland eingewandert sind, auseinander. Sie visualisieren die materielle Welt der Migranten, die sehr ähnlich zur Welt jeder anderer Person in diesem Land ist. 

Methoden

Das Projekt beinhalten zwei Teile:

1.  Literarisch-szenischer Teil

Der literarisch-szenische Teilbeinhaltet eine Veranstaltungsreihe, bei welchen sich junge Menschen mit dem Szenario der theatralischen Performance bekanntmachen und aktiv bei der genauen Analyse teilnehmen. Die jungen Erwachsenen lernen die Rolle richtig zu verstehen, die Figur zu analysieren, und lernen zudem die historische, psychologische und künstlerische Auslegung der Figur kennen. Über dies beinhaltet das Programm den Besuch einer theatralischen Inszenierung mit einer darauffolgenden Diskussion, das Sichten von thematischen Filmen und einen Museumsbesuch.

2. Teil "Inszenierung in Form einer theatralischen Performance"

Die Jugendlichen stellen die ausgearbeiteten Gestalten auf der Bühne da. Die Aufgabe des Regisseurs, der Begleitpersonen und der Künstler ist es, den Jugendlichen in diesem zu helfen. In der dritten Umsetzungsphase werden die Inszenierungen zu einer Theaterperformance zusammengesetzt und kombiniert. Die Theaterperformance wird das fertige Produkt und die Darstellung der Projektergebnisse sein.

Die Performance wird eine Synergie verschiedener Kunstarten sein, u. a. Musik, Theater, Bühnenbild, Dekorationen, Plastik und Tanz etc. Sie findet im Rahmen der Ausstellung der Gegenstände als Teil der gesamten Dekoration und des entwickelten Bühnenbilds, die die Teilnehmenden unter der Leitung von Bühnenbildnern kreativ gestaltet werden. Die Entourage der materiellen Welt der Migranten wird die Performance als Hintergrund begleiten.

Der zweite Teil des Projekts beinhaltet eine ausführliche Bekanntmachung der jungen Teilnehmer Innen mit diversen technischen Prozessen einer Inszenierung und dessen Berufsfeldern. Die Reihe von Workshops widmet sich der Ausarbeitung von Kostümen und Dekorationen, der Gestaltung von Musik- und Lichtelementen, Choreografien, der szenischen Sprache und Bewegung, und außerdem der Gestaltung von Plakaten als grafisches Symbol der Inszenierung. Des Weiteren werden die TeilnehmerInnendie einzelnen Phasen des Projektes durch Foto- und Videomaterial dokumentieren. Diese Dokumentation wird am Ende des Projekts zur umfangreichen Präsentation benutzt. Der Besuch von Kunstwerkstätten, Treffen mit Vertretern verschiedener Berufsfelder, Berichte, Vorlesungen und Workshops zu diversen Themen, das Sichten von Filmen und theatralischen Inszenierungen sind ebenfalls vorgesehen.

Ein Projekt von
kreativallianz e.V.
In Kooperation mit
Theater tko Köln  Phoenix
Gefördert von
der Paritätische unser Spitzenverband
im Rahmen des Programms        von
Kultur macht stark  Bundesministerium für Bildung und Forschung